Während die EU sich von Gipfel zu Gipfel in die Rezession stürzt, ziehen sich die US-Truppen nach fast neun Jahren Krieg aus dem Irak zurück. In derselben Woche vertagt der Kongress den Staatsbankrott der USA – wieder einmal in letzter Sekunde. Gleichzeitig reißt Taifun „Washi“ mit seinen Wassermassen auf den Philippinen bislang über 650 Menschen in den Tod. Global überschlagen sich die Ereignisse, so auch in Nordafrika: Dort geben die libyschen Rebellen keine Ruhe, zu schwer können sich die jungen „Befreier“ von der monatelang erkämpften Macht im Lande wieder trennen. Alte Stammesrivalitäten blühen auf. Seit Gaddafis Tod haben sich die Verhältnisse zugunsten der Benachteiligten gewendet. Von Vergebung keine Spur. Und auch auf den Straßen Kairos flachen die Unruhen nicht ab.
Dagegen wirken die Ereignisse in Deutschland fast banal – Das sind sie bei weitem nicht! Nach einem Bericht der Bild am Sonntag wollte der Thüringer Verfassungsschutz den mutmaßlichen Mördern der Zwickauer Neonazizelle indirekt 2000 DM zukommen lassen. Das Geld ging an einen NPD-Funktionär. Über einen Mittelsmann sollten die mutmaßlichen Mörder die Summe erhalten – für gefälschte Pässe. So habe man das Trio orten wollen. Offenbar steckte der Mittelsmann das Geld aber selbst ein. Da der Verfassungsschutz es versäumte, die sächsischen Meldeämter einzuweihen, war der Plan ohnehin zum Scheitern verurteilt. Über den Sinn einer solchen Aktion lässt sich streiten. Aber eines muss man sich doch einmal auf der Zunge zergehen lassen: Der Thüringer Verfassungsschutz zahlt mutmaßlichen Serienkillern mit tiefbrauner Gesinnung 2000 DM für gefälschte Pässe. Thüringens Verfassungsschutzpräsident war damals Helmut Roewer. Die taz schreibt über Roewer:
„Heute lebt er als Publizist in Weimar und Italien. Im letzten Jahr schrieb er das Buch "Die Rote Kapelle und andere Geheimdienstmythen" über Spionage im Zweiten Weltkrieg. Veröffentlicht wurde das Buch im Grazer Ares-Verlag, der auch antisemitischen und rechtsextremen Autoren sowie Geschichtsrevisionisten eine Plattform bietet.“
Alles klar? Wären solche Verstrickungen von braunen Gesinnungen in hohen Staatsämtern nicht angsteinflößend, böte die vergangene Woche auch jede Menge Stoff zum Lachen. Blendet man die braunen Flecken nämlich aus, leben wir offenbar in einer schwarz-gelben Bananenrepublik. Da sprang am Mittwoch plötzlich ein FDP- Generalsekretär Lindner von der Klippe – ohne Vorankündigung oder logisch ersichtlichen Grund. Nur knapp scheiterten die Liberalen an dem von EU-Skeptiker Frank Schefflers initiierten Suizidversuch ihrer Partei. Und dann war da noch ein deutsches Staatsoberhaupt, dem der Mief aus dem Maschsee-Sumpf bis ins Schloss Bellevue zu steigen schien – und ihm vermutlich nächste Woche die politische Kehle abschnüren wird.
Halten wir fest: Ein Verfassungsschutz, der mutmaßliche Mördernazis bezahlt, Verantwortungs- und Konzeptlose Regierungsparteien und ein Staatsoberhaupt mit balkanischer Einstellung zu seinen Amtsprivilegien. Die Ereignisse in der Bundesrepublik unterhöhlen jegliche Glaubwürdigkeit in den Staat und seine Repräsentanten.
Mal ehrlich, wann haben Sie sich zuletzt Geld geliehen, von einem guten Freund (bzw. seiner Gattin) – für ein Eigenheim? Oder erinnern Sie sich auch noch an den letzten Sommerurlaub in der Villa dieses reichen Bekannten? Eigentlich sollte sich diese Kolumne um den hannoverschen Klüngel drehen und um die moralische Vorbildfunktion eines Bundespräsidenten. Denn blendet man alle rechtlichen Fragen aus, hat Wulff rein ethisch gesehen gegen seine Verantwortung als politisches Vorbild gehandelt. Als Privatperson kann man so etwas vielleicht noch machen, solange man sich im Rahmen der Gesetzte bewegt. Genau das bezweifeln aber nun Verfassungsrechtler: Wulff ist und war eben keine Privatperson. Als Ministerpräsidenten sei es in Niedersachsen verboten, vergünstige Kredite anzunehmen, sagen die Verfassungsexperten. Damit dürfte der Fall – und Wulff als Bundespräsident – erledigt sein.
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