Was sich einen Tag vor dem ersten Euro-Gipfel des Jahres zwischen Athen und Brüssel abspielt grenzt an eine Katastrophe – für die Demokratie und die europäische Idee. Allen voran aus Deutschland werden Stimmen laut, die die Wirtschaftsgeschicke der Griechen in die Hände eines aus Brüssel entsandten EU-Kommissars legen wollen. Die griechische Regierung müsse außerdem der Schuldentilgung Priorität vor allen anderen Ausgaben einräumen, lautet eine weitere Forderung. Soll heißen: Statt zum Beispiel Renten und Löhne auszuzahlen, soll Athen Schulden begleichen.
Die Begründung: Griechenland habe die vereinbarten Sparbemühungen schleifen lassen. Statt wie bisher veranschlagt brauche Athen nicht 130 Milliarden, sondern sogar 145 Milliarden Euro neuer Kredite, schätzt die Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds laut eines Spiegelberichts.
„Wir brauchen bei der Umsetzung des Reformkurses (Anm. in Griechenland) mehr Führung und Überwachung“, sagte Wirtschaftsminister Philipp Rösler der Bild-Zeitung. Wie genau Rösler, der mit seiner Partei selbst vor der Pleite steht, sich das vorstellt: „Wenn dies den Griechen nicht selbst gelingt, müssen Führung und Überwachung stärker von außen kommen, zum Beispiel durch die EU.“ Offenbar will der politisch schon totgesagte FDP-Chef nun doch wie versprochen liefern – und zwar verantwortungslosen Populismus auf Kosten des innereuropäischen Friedens. Die Geduld mit Griechenland, neige sich deutlich dem Ende zu, spitzte Rösler seine Drohung zu.
Dabei ist es in Wahrheit wohl umgekehrt und die Geduld der griechischen Bürger neigt sich dem Ende zu. Denn was Rösler und andere Politiker aus Regierungskreisen da fordern, ist nicht weniger als die komplette ökonomische Entmachtung der Griechen, ein europäisches Wirtschaftsprotektorat über Athen. War die politische Selbstständigkeit der Helenen schon mit jedem Kontrollbesuch durch die Troika geschrumpft, so verliert das Land – sofern der Plan Wirklichkeit wird – endgültig seine politische Souveränität. Europa wird zur Besatzungsmacht in Athen.
Ein gesamtes Volk wird gedemütigt, wie es in der Geschichte der europäischen Integration nie passiert ist. Den Griechen wird mit der politischen Unabhängigkeit der letzte Funke Stolz genommen. Sie werden Angela Merkel und uns Deutschen die Verantwortung für diese Kränkung geben. Frustration kippt in Hass. Noch häufiger als bisher werden griechische Zeitungskommentatoren die Bundesrepublik Merkels mit Hitler-Deutschland vergleichen. Unsere Regierung macht uns zu Feinden der Griechen. Denn die werden uns Deutschen diese Demütigung so schnell nicht verzeihen.
Und auch die europäische Idee wird schwer beschädigt. Die Einschnitte in die Freiheit eines europäischen Landes werden eine dermaßen tiefe Wunde in die Geschichte der europäischen Integration reißen, dass Merkels politische Formel – scheitert der Euro, scheitert der Europa – im historischen Rückspiegel einmal wie blanker Hohn erscheinen könnte.
Es könnte passieren, dass wir uns in naher Zukunft schämen werden, dafür wie unsere Regierung die europäische Idee beschmutzt hat. Die Lage in Griechenland ist verzwickt. Aber was da gefordert wird ist jenseits von Gut und Böse. Wer bisher geglaubt hat, Angela Merkel gehe es wirklich um die Europäische Idee, wird jeden Glauben verlieren – sofern wahr wird, was diesen Sonntag gefordert wurde.
Jeder gläubige Europäer sollte an diesem Sonntag dafür beten, dass unsere Regierung zur Besinnung kommt. Und es gibt Hoffnung. Denn nicht Politiker aus den Reihen der schwarz-gelben Koalition hat den Verstand verloren. „Mit dem Vorschlag eines Sparkommissars, der allein auf Schuldentilgung achten soll anstatt auf Investitionen für den Wirtschaftsaufschwung, setzt die wirtschaftspolitische Vernunft vollends aus“, sagte der FDP-Abgeordnete Jorgo Chatzimarkakis Spiegel Online.
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