11.12.2011

Kolumne #1

Keine faulen Kompromisse!


Nicht immer stinkt der Fisch nur vom Kopfe her. In der Schuldenkrise tragen auch die Bürger eine erhebliche Mitschuld.
Foto: Erix (cc)

► Los geht’s. London hat sich von Kontinentaleuropa verabschiedet. Der Rest stemmt sich gegen den Schuldenberg. Auch wir Bürger müssen anpacken – und endlich mit einer Lüge aufräumen.

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Was macht eine gute Kolumne aus? Gute Frage. Viele Kolumnen haben ein bestimmtes Thema oder ein Motto. Ich entschied mich, den Zufall für mich bestimmen zu lassen und wartete auf ein gutes Zitat. Dann fand ausgerechnet Kanzlerin Merkel die passenden Worte auf dem Brüsseler Euro-Gipfel in dieser Woche: „Keine faulen Kompromisse!“

Vom Scheitern des Gipfels sprachen manche Kommentatoren am Freitagmorgen. Dabei sperrte sich nur ein Partner in der EU gänzlich gegen den von Merkel und Sarkozy verordneten Sparkurs: Großbritannien. Dass die Briten den deutschen Stabilitätskriterien nicht zustimmen würden, war zu erwarten. Das forderte neben der britischen Tradition des ständigen Out-optens vor allem die Londoner Finanzbranche. In dieser Hinsicht ist David Cameron konsequent geblieben. Löblich war auch die Konsequenz der 17 Euroländer und sechs weiterer EU-Mitglieder. In der entscheidenden Phase wiesen sie den britischen Premier in die Schranken. Anders als sonst, ließen sie es nicht zu, dass sich das Königreich noch einmal ein Hintertürchen offen lässt. Das war wichtig und richtig – auch wenn es einen Bruch bedeutet.

Zu Camerons „Nay“ fand der britische Ex-Außenminister David Miliband einen Kommentar, der den Nagel auf den Kopf traf. „Das Vereinigte Königreich ist mit Ungarn in ein Ruderboot neben dem 25-Nationen-Supertanker gesprungen.“Das sei „Schwäche, nicht Stärke“, twitterte der Labour-Politiker über den Premier aus dem Lager der Konservativen.

Am Freitagmorgen hieß es noch, Ungarn würde das Paket ebenfalls ablehnen. Im späteren Verlauf wurde das jedoch dementiert. Wie die Regierungen von Tschechien und Schweden müsse man sich noch das Okay aus dem heimischen Parlamente holen. Dabei wäre ein ungarisches Nein, "Nem", ebenfalls konsequent gewesen. Denn häufig spielt der ungarische Premier Viktor Orbán mit antieuropäischem Populismus. Zum ungarischen Nationalfeuertag am 15. März polterte Orbán: „Treu zu unserm Schwur haben wir es 1848 nicht geduldet, daß uns aus Wien diktiert wird. 1956 und 1990 haben wir nicht geduldet, daß uns aus Moskau diktiert wird. Wir lassen es auch jetzt nicht zu, daß uns aus Brüssel oder von sonst irgendwoher diktiert wird.“ Ganz davon abgesehen, wird die ungarische Neuverschuldung mit nahezu sicherer Gewissheit die Drei-Prozentmarke im kommenden Jahr wieder knacken. Sanktionen aus Brüssel sind damit vorprogrammiert.

Nun wurde in den vergangenen Tagen viel über das Europa der zwei Geschwindigkeiten geredet. Manche sprechen schon über Großbritanniens Abspaltung von Kerneuropa. Kontinentaleuropa muss (und will) weitergehen, mit oder ohne die Briten. So viel ist sicher. In den Medien hat Camerons endgültiges Opt Out vor allem eines bewirkt: Es hat die Diskussion der europäischen Journalisten auf die Metaebene gehoben. Viele sehen im europäischen Schicksal der Krisenerfahrung schon den Segen einer identitätsstiftenden Kollektiverfahrung, an der es für eine echte politische Union der Staaten Europas bisher mangelte. Durch das gemeinsam geteilte Leid können mit der Hoffnung auf ein Happyend für alle alte nationale Egoismen leichter über Bord geworfen werden – und dem 25-Nationen-Supertanker Europa so eine Seele geben.

Doch die Krise auf den Anleihenmärkten geht weiter – ganz gleich, ob die Feuilletonisten nun damit beginnen, in Euromantik zu schwelgen. Pünktlich vor dem Gipfel drohte die amerikanische Ratingagentur Standard & Poor’s Europa mit der kollektiven Herabstufung. Angela Merkel reagierte gelassen. „Das ist nur eine Meinung von vielen“, sagte EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier.

FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle hatte den Eindruck „dass amerikanische Ratingagenturen und Fondsmanager gegen die Euro-Zone arbeiten.“ Diesen Standpunkt vertraten auch viele Kommentatoren in der Presse. Amerika attackiere den Euro, um von den eigenen Haushaltsproblemen abzulenken und den schwächelnden Dollar wieder global zu etablieren. Der amerikanische Schuldenberg ist schon ein Thema für sich.

Andere sehen in den Ratings längst ein Spätwarnsystem. Dass Europa im kommenden Jahr eine Rezession drohe, sei klar. Auch ohne die Urteile von Agenturen wie S&P werde das Vertrauen der Anleger in europäische Staatspapiere weiter schwinden und damit auch die Zinsen steigen.

Warum wir Bürger eine Mitschuld am Schuldenberg haben: Lesen Sie weiter auf Seite zwei.