13.07.2011

Roma

Vom Rande der Gesellschaft

► In der Hauptstadt machen sie Schlagzeile als Bettler, Scheibenputzer und Straßenmusikanten. Damit bedienen viele Roma ein typisches Klischee. Dabei ist ihr Leben am Rand das Syndrom jahrhundertelanger Verfolgung.

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Es ist ein lauer Juniabend in Berlin. Auf der Potsdamerstraße braust der Feierabendverkehr vorbei. An einen Stromkasten gelehnt, sitzt ein Mädchen. Sie ist etwa 14 Jahre alt. In der Hand hält sie einen leergetrunkenen Kaffeebecher, auf dessen Boden liegen einige Kupfermünzen. Sie wirkt gelangweilt. Doch dann setzt sie ein: „Entschuldigung, bitte fünfzig Cent.“ Ihr Akzent klingt osteuropäisch. Sie kommt aus einem kleinen, unbekannten Dorf in der südrumänischen Walachei. Auf die Frage, wo genau der Ort liegt, korrigiert sie: „Bukarest“. Das ist leichter, die rumänische Kapitale kennt jeder. „Erst seit ein, zwei Tagen“ sei sie hier – sagt sie dem Autor.

Seit Rumänien und Bulgarien 2007 der Europäischen Union beitraten, genießen die Bürger beider Länder das Recht, den Kontinent frei zu bereisen. Die beiden südosteuropäischen Staaten sind die ärmsten in der EU. Viele Menschen verlassen ihre Heimat in der Hoffnung, sich in Westeuropa ein besseres Leben aufzubauen. Schlagzeilen machen vor allem die Ärmsten der Armen – bulgarische aber vor allem rumänische Roma.

Eine Zwanzig-Cent-Münze fällt in den Kaffeebecher der jungen Frau. „Du sitzt doch schon seit mindestens einem Monat immer mal wieder hier.“ Sie schweigt kurz, lächelt und schaltet um auf Hundeblick. „Bitte geben Sie mir fünf Euro. Ich habe Hunger“, fleht sie. „Die heilige Mutter Gottes segne Sie“. In Städten wie Bukarest oder Cluj-Napoca hört man den Satz beinahe täglich.

In keinem Land der Welt leben mehr Roma als in Rumänien. Es sind etwa zwei Millionen, ein knappes Zehntel der Gesamtbevölkerung. Hätte diese in Europa seit Jahrhunderten verfolgte Minderheit ihren eigenen Staat, es wäre der neuntgrößte in der Europäischen Union. Auf zehn bis zwölf Millionen schätzt die EU-Kommission ihre Zahl, genau lässt sich das nicht sagen. Zu sehr leben Roma sozial und wirtschaftlich an den Rand gedrängt.

Die rumänische Mehrheit behandelt sie wie Aussätzige. Einen Zigeuner in der eigenen Firma einstellen? Zu groß ist die Angst. Was, wenn er mich bestiehlt? Diese Furcht speist sich aus alten Vorurteilen und wird seit Generationen weitergegeben. Vom Mittelalter bis 1856 wurden sie in Rumänien unter unmenschlichen Bedingungen als Sklaven gehalten. Aber auch nach ihrer Befreiung schloss die Mehrheit sie vom gesellschaftlichen Leben weitgehend aus, bis heute.

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