13.07.2011

Roma

Vom Rande der Gesellschaft

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Potsdamer Straße, einen Tag später. Das Mädchen mit dem Kaffeebecher ist nicht da. Eine Kreuzung weiter südlich, an der die U-Bahnlinie U2 oberirdisch die Bülowstraße quert, staut sich der Verkehr vor einer roten Ampel. Zwischen den Fahrzeugen wandelt eine dunkelhäutige Frau umher. Sie wirkt gut gelaunt, tanzt. In der rechten Hand winkt sie mit einem Fensterwischer, in der Linken hält sie eine Plastik-Flasche mit Spülmitteln. Hinter den Steuern: Kopfschütteln. „Bloß nicht“, schallt es aus einem heruntergelassenen Fenster. Unbekümmert tänzelt sie sich durch die eng beieinander gerückten Autos, summt eine Melodie. Auch der Fahrer eines türkisen Kleinwagens winkt strikt ab. Die Ampel schaltet auf Grün. Ohne einen Cent hinterlassen zu haben, rast die potentielle Kundschaft an ihr vorbei. Sie lächelt trotzdem.

„Welche Mechanismen dazu führen, dass Leute Fensterschreiben an Straßenkreuzungen wischen müssen, “ kritisiert Samir Biberovic die Berichterstattung über Roma, „wird nicht erklärt“. Biberovic arbeitet als Assistent im Verein Amaro Drom. Auf Romanes, der Sprache der Roma, bedeutet das „Unser Weg“. Die teils äußerst oberflächliche Presse wühle die Gemüter auf und festige Vorurteile: „Das erschwert unsere Arbeit“, sagt Biberovic.

Die Gründe, die Roma an den Rand drängen, sind Jahrhunderte alt. Klassischerweise kehren sie das Verhältnis zwischen Opfer und Täter um: So wollte man im Habsburgerreich die Roma-Gemeinschaft assimilieren, indem man ihre Kinder entführte und sie in fremden Familien großzog. Viele Eltern versuchten dann, ihre Kinder zurückzuholen – so entstand die Legende vom kinderstehlenden Zigeuner. Ähnlich wirkte Ausgrenzung im deutschen Reich. Als begabte Handwerker machten Roma den hiesigen Zünften Konkurrenz. Deshalb verbot man ihnen, ihren Berufen nachzugehen, verjagte sie. So wurden die Roma erneut auf Wanderschaft getrieben, ihre Lebensform außerhalb der Gesellschaft verfestigte sich.

„Ich bin Rotationseuropäer“, scherzt der 23-jährige Biberovic. Ein politisch-korrekter Jux, wie er sagt. Sein Vater kommt aus Serbien, seine Mutter aus Bosnien. Er selbst kam in Slowenien zur Welt, ging in Österreich, Genf und Berlin zur Schule. Samir Biberovic ist ein Vorzeige-Europäer, denn er war viel unterwegs. Und nur in diesem Punkt bedient er ein gängiges Roma-Klischee. Entgegen aller Vorurteile leben die meisten Roma heute sesshaft.

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