25.05.2011

Attac in Berlin

Wenn Wachstum arm macht

► Am vergangenen Wochenende trafen sich Globalisierungskritiker zum Attac-Kongress „Jenseits des Wachstums?!“. Zwischen Hörsaal und veganer Linsensuppe – Cicero Online war dabei. Eine Reportage

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Es ist warm im Hörsaal H3010 der Technischen Universität Berlin, die Luft verbraucht. Es riecht nach Gedanken, nach den Emissionen hitziger Diskussionen, dabei ist der Saal nur noch zu einem Drittel gefüllt. Die Karawane der Kongressteilnehmer, die hier eben noch über Rohstoffboom, Green New Deal und die Triebkräfte des Wachstums stritten, ist weitergezogen. Die Abendsonne strahlt flach durch eine verstaubte Fensterfront und taucht den vorderen Teil des Hörsaals in ein warmes Orange.

Auf dem Podium sitzt Rosa Koian. Sie spricht langsam. „Ich habe ungefähr 28 Stunden gebraucht, um nach Deutschland zu kommen“, erzählt sie. „Von Singapur nach Frankfurt bin ich in einem Flugzeug geflogen“, sagt sie ruhig, macht eine kurze Pause. „Und ich hatte Angst“, fügt sie dann hinzu. Ihre Stimme beginnt zu zittern. „Von Frankfurt aus bin ich zum zweiten Mal in meinem Leben mit dem Zug gefahren – und ich hatte Angst.“ Wieder hält Rosa inne. „Hier in Berlin hat mich ein Freund abgeholt, der meine Sprache spricht. Er hat mich herumgeführt, hat mir alles gezeigt. Noch mehr Züge und Busse, Architektur und Technik. Ich bin beindruckt. Für Deutschland funktioniert das. Doch es macht mir Angst – und ich möchte nach Hause.“ Die Frau mit dem runden Gesicht, der breiten Nase und dem kurzen, struppigen, schwarzen Haar spricht in einfachen Worten. Ihre Stimme scheint von einer urtümlichen Magie beherrscht.

Rosa Koian kommt aus Papua-Neuguinea und ist Gast beim Attac-Kongress „Jenseits des Wachstums!?“. Drei Tage lang widmeten sich die Globalisierungskritiker am vergangenen Wochenende ihrem Ziel einer ökologischen und sozial gerechten Welt sowie ihrer Vision eines guten Lebens. Die Widersprüche der Globalisierung werden aus Sicht von Attac immer drängender, die Fehlentwicklungen offenkundig. Eine geplatzte Hypothekenblase löst eine weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise aus, Banken und Konzerne werden mit Steuergeldern gerettet. Im Golf von Mexiko havariert ein Ölborturm. Der Unfall wird zur größten Öl-Katastrophe aller Zeiten, ein Jahr später ist BP-Chef Bob Dudley der am besten bezahlte Manager Europas. Vor den Küsten Japans bebt die Erde. Bilder von zerstörten Städten und rauchenden Atom-Reaktoren gehen um die Welt, Tepco-Chef Masataka Shimizu flüchtet vor seiner Verantwortung – erst in ein Krankenhaus und dann in den Ruhestand. Man muss kein Revoluzzer sein, um sagen zu können: Auf unserem blauen Planten läuft einiges verkehrt. Die meisten Kongressbesucher sind sich einig: Schuld daran sei vor allem das hemmungslose Streben nach wirtschaftlichem Wachstum. Die ewige Jagd nach materiellem Wohlstand müsse ein Ende haben.

Die Schattenseiten dieses Wettlaufs kennt Rosa Koian sehr genau. Ihre Heimat ist reich an Bodenschätzen. Auf der Suche nach Erdöl, Kupfer und Gold kommen Großkonzerne in den Tropenstaat und kaufen Land. Sie roden Wälder, um nach Erdöl zu bohren, schaffen riesige Agrarflächen, auf denen Palmen wachen, deren Öl zu Biosprit verarbeitet wird. „Wozu die Eile?“, fragt die zierliche Frau. Ihre Augen schimmern. „Warum müssen wir jetzt all die Schätze aus der Erde holen, warum denn alles gleich sofort?“

Mit ihrer Organisation Bismarck-Ramu-Group kämpft Rosa Koian für den Erhalt der Waldflächen. Noch ist der Großteil des Inselstaats im Besitz der Einheimischen; einfachen Urwald-Bewohner, die eine traditionelle Lebensweise pflegen. Nach westlichen Maßstäben sind diese Menschen arbeitslos. Und weil sie kein Einkommen haben – und damit weniger als einen Dollar am Tag verdienen – sind sie nach der Weltbank-Definition zudem arm. De Facto sind sie aber Grundbesitzer. „Geld und Öl machen uns nicht glücklich“, sagt Rosa. Die meisten Bewohner Papua-Neuguineas leben von dem, was sie selbst anbauen und jagen. Der Boden ist ihre Lebensgrundlage.

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