In Dollars gemessen ist Papua-Neuguinea bitter-arm. Der Rohstoff-Hunger der ersten Welt hingegen ist gewaltig – und eine massive Bedrohung für die Einheimischen und ihre traditionelle Lebensweise. Umso mehr Gold, Erd- oder Palmöl das Land exportiert, desto höher steigt das Bruttoinlandsprodukt. Einem solchen Wachstum steht der Urwald im Weg. Eine Rodung – ob nun für den Bergbau oder zum Anbau Mono-Kulturen – zerstört die Existenzgrundlage der Bevölkerung. Das Prinzip – umso größer der Kuchen ist, umso mehr gibt es zu verteilen – funktioniert hier nicht. Wächst das BIP von Papua-Neuguinea, dann wächst es auf Kosten der eigenen Bevölkerung und Natur. Beispiele wie dieses finden sich in Schwellen- und Entwicklungsländern auf dem gesamten Globus. Die Botschaft lautet: Wir tauschen unsere harte Währung gegen eure Rohstoffe und eure billige Arbeitskraft. Unser luxuriöser Lebensstil funktioniert nur auf Kosten eurer industriellen Unterentwicklung.
Als Medizin für Gemüt und Gewissen gibt es auf dem Attac-Kongress vegane Linsensuppe. Draußen, im grünen Hinterhof der Technischen Universität duftet es nach Knoblauch. Die Schlange ist lang, hinter dem umweltbewussten Rentner wartet die barfüßige Gender-Studentin mit Krauskopf und Ring durch die Nasenscheidewand; neben dem spanischen Austauschstudenten, das Gewerkschaftsmitglied. Die „Gerüchteküche“ serviert ihr Gericht umweltbewusst in Metallschüsseln. Gespeist wird vor allem auf dem Boden, nicht unbedingt aus Verbundenheit zur Mutter Erde, sondern weil der Kongress mit mehr als 2500 Gästen viel besser besucht ist, als die Veranstalter erwartet hatten. Kulinarisch ist das vegane Mahl auch für bekennende Fleischesser eine willkommene Abwechslung. Nach der Stärkung geht es wieder in die Schlange. Am Ende bekommen die Kongressteilnehmer jedoch keinen Nachschlag, sondern einen Schwamm zur Hand. Jeder spült sein dreckiges Geschirr selbst.
Sieht so die Welt jenseits des Wachstums aus? Man könnte sagen: so ungefähr. Dem Jetsetter, Burger-Gourmet, iPad-Fan und Starbucks-Junkie könnte es bei den Visionen des einen oder anderen Referenten kalt über den Rücken laufen. Die Schlagworte lauten: Selbstversorgung, Regionalisierung, Umverteilung und radikales Energiesparen. Ausbau der Gemeingüter, Arbeitszeitverkürzung und staatliches Grundeinkommen. Dass weltweiter Umweltschutz und globale Gerechtigkeit zusammengehören, ist Konsens. Bei der Auflistung der Probleme sind sich Kapitalismusgegner und Ökoaktivisten einig: Ein unendliches Wachstum ist mit einem räumlich begrenzten Planeten nicht zu machen. Auch ein Green New Deal kann kein ökonomisches Perpetuum Mobile versprechen. Der Streit zwischen Gemäßigten und Radikalen beginnt bei der Frage, ob der Markt gezügelt werden könne oder der Kapitalismus als Wirtschaftssystem grundsätzlich abzuschaffen sei. „Das sind die gleichen Debatten, die wir vor 30 Jahren geführt haben“, sagen einige ältere Kongressbesucher.
Papua-Neuguinea hat andere Probleme. „Wir opfern viel, damit die erste Welt ihr Öl bekommt“, sagt Rosa Koian. Egal, ob Bio-Sprit oder Erdöl, beides bedroht den Regenwald. „Wir denken sehr genau darüber nach, wer von den ‚grünen‘ Aktivitäten profitiert.“ Die Aktivistin und ihre Organisation stecken in einem Dilemma. Im Kampf für den Erhalt von Land und einem Leben, das nicht von ökonomischen Wachstumsbegriffen bestimmt ist, braucht sie Geld – als monetäre Munition für Lobbyarbeit und Gerichtsverhandlungen. Das einzige, was ihre Heimat der ersten Welt als Einnahmequelle zu bieten hat, sind jedoch Rohstoffe und Land. Auch Rosa Koian musste in ein Flugzeug steigen, um nach Europa zu kommen. Sie sagt: „ich fühle mich schuldig“.
Erscheinungsort: Cicero Online
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